Bach-Akademie Stuttgart

Mit Bach das Leben begreifen: Das Projekt „Vision.Bach“

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Eva Pobeschin
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Dominic Konrad

Die Internationale Bach-Akademie Stuttgart führt genau 300 Jahre nach dem Amtsantritt von Johann Sebastian Bach als Thomaskantor in Leipzig alle Kantaten dieses ersten Jahres in chronologischer Reihenfolge auf. „Vision.Bach“ ist der Titel dieses Projekts, „Mit Bach das Leben begreifen“ der Slogan.

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Bach ist hochaktuell

Dass die Musik von Bach und ihre Texte über die Schwierigkeiten der menschlichen Natur noch nie so aktuell waren wie heute, davon ist Hans-Christoph Rademann überzeugt. „Wenn man sich anschaut, die Welt jetzt tickt, dann glaube ich einfach, dass das total aktuell ist. Das ist keine alte Musik.“

Wie zeitlos die Musik von Johann Sebastian Bach immer noch ist, erlebt Rademann täglich in seiner Arbeit als Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart. Bach hat dort immer Hochkonjunktur. Doch seit knapp einem Jahr ganz besonders: Im Mai 1723 tritt Bach nämlich seine Stelle als Thomaskantor in Leipzig an.

Innerhalb seines ersten Jahres komponiert er über 60 Kantaten,obwohl das Komponieren gar nicht zu seiner Stellenausschreibung gehört. Für jeden Sonntag und jeden Feiertag eine Kantate. Manche recycelt er von früher und ändert sie ein wenig ab. Aber ein Großteil dieser gottesdienstlichen Gebrauchsmusik wird für Leipzig komponiert.

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„Ich stelle fest: Du kennst den Komponisten nur halb“

Hans-Christoph Rademann würdigt Bachs enorme Arbeit mit einem musikalischen Großprojekt unter dem Titel „Vision.Bach“. Die Vision seines Teams: alle der über 60 Kantaten des ersten Leipziger Jahrgangs aufzuführen, historisch getreu in den von Bach vorgegebenen Besetzungen und in ihrer chronologischen Reihenfolge.

Nun ist das erste Jahr fast zu Ende. Was lernt Hans-Christoph Rademann als Bachspezialist noch selbst von diesem Projekt?  „Meine hauptsächliche Feststellung ist, dass ich geglaubt habe, den Komponisten gut zu kennen“, erzählt der Musiker.  „Und jetzt musste ich mir etwa 20 bis 25 Kantaten neu erschließen, die ich noch nicht aufgeführt habe. Ich stelle fest: Du kennst den Komponisten nur halb.“

Erste Monate im Amt ist Bach experimentierfreudig

Im Unterschied zu Bachs späteren Kantaten seien jene aus dem ersten Jahr in Leipzig experimentierfreudiger, meint Hans-Christoph Rademann. Als hätte Bachs sich hier noch ausprobiert, seinen Stil weiter gefestigt, seinen musikalischen Gedankenhorizont erweitert.

Es sind somit auch wissenschaftliche Erkenntnisse, die für Rademann das Projekt „Vision.Bach“ besonders macht und Bachs Rolle als Visionär untermauert: Er habe inhaltlich schwierige, theologische Themen angefasst in seinem Kantatenwerk, so Rademann weiter.

Mit seiner Musik habe er eine Erleichterung hergestellt, durch die jeder Mensch diesen komplexen Themen folgen und sie für sich adaptieren kann. Ob im Jahr 2024 oder eben damals vor 300 Jahren zu Bachs Zeiten.

Rademann dirigiert Bachs Kantate „Sehet! Wir gehn hinauf ...“ (BWV 159)

Was bedeutet das Bild des Jesus als guter Hirte?

Neben der Musik ist die Auseinandersetzung mit theologischen Themen ein wichtiger Aspekt für das Projekt „Vision.Bach“. Hans-Christoph Rademann liegt es vor allem am Herzen, dass Bachs Musik und deren Texte nicht nur von Theologen erklärt werden. Es geht vielmehr darum, die über 300 Jahre alten Kontexte für uns heute greifbar zu machen. 

„Wir hatten in unserem Konzept auch den Plan und den haben wir auch umgesetzt: Dass immer Leute kommen und zu den aktuellen Themen sprechen“, erklärt Rademann. „Also wenn zum Beispiel von Jesus als gutem Hirten die Rede ist (...), dann wollen wir von einem Schäfer wissen, was es bedeutet, eine Herde zu weiden. Dass einfach das Publikum über dieses Bild (...) ein bisschen mehr nachdenken kann.“

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Das Projekt mündet in einer CD-Einspielung

Es ist also ein allumfassendes Projekt, mit dem sich die Internationale Bachakademie Stuttgart zusammen mit der Gaechinger Cantorey und Hans-Christoph Rademann noch bis Ende Mai aktiv beschäftigt. Alle dieser ersten Leipziger Kantaten werden außerdem auf CD eingespielt.

Ob in den nächsten Jahren weitere Ausgaben von Vision.Bach entstehen, das sei noch dahingestellt, meint Rademann. Genug Material in Form von Bach-Kantaten ist auf jeden Fall vorhanden.

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1880, zum Abschluss seines Studiums, komponierte der junge Puccini seine Messa di Gloria und verwendet Teile daraus in seinen Opern. Im gleichen Jahrzehnt komponiert der 45 Jahre ältere Verdi als Abschluss seines Schaffens die "Vier geistlichen Stücke". Das "Te Deum" daraus hat einen festen Platz im Konzertrepertoire eingenommen, doch als Gesamtwerk ist es ebenso wie Puccinis Messe äußert selten zu hören.

SWR2 Abendkonzert SWR2

Album-Tipp So klingt Chaos: Haydns Schöpfung unter Hans-Christoph Rademann

Seit knapp zehn Jahren leitet Hans-Christoph Rademann die Internationale Bachakademie und die Gaechinger Cantorey in Stuttgart. Mit der hat er jetzt Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ veröffentlicht. Eine Aufnahme, „die von der genauen Lesart des Dirigenten lebt“, meint SWR2-Kritiker Christoph Vratz.

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