"240 Quadratmeter und 34 Jahre"

Was tun, wenn die Wohnung der Eltern aufgelöst werden muss?

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Hanns Lohmann
Hanns Lohmann
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Ausmisten, aufräumen, Abschied nehmen – den Haushalt der Eltern aufzulösen ist keine leichte Aufgabe. Viele Erinnerungen liegen dort in Kisten oder hängen an Wänden, von denen sich die Eltern nur schwer trennen können.

Dr. Christina Erdmann kennt das aus eigener Erfahrung. Sie hat darüber ein Buch mit dem Titel "Adieu Elternhaus" geschrieben und im SWR1 Interview mit uns darüber gesprochen.

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Besonders schwierig: den Schmerz der Eltern auszuhalten

SWR1: Wie war das bei Ihnen, als sie ihr Elternhaus auflösen mussten?

Christina Erdmann: Das war ein halbjähriges Projekt, was unsere ganze Familie komplett in Beschlag genommen hat, weil wir es zusammen mit meinen Eltern gemacht haben. Wir als Kinder, meine Schwester und ich, haben unsere Eltern dabei begleitet, Entscheidungen zu fällen, auszumisten, wegzugeben. Aber auch bewusst zu entscheiden, was mit in die Seniorenresidenz soll, in die sie umziehen wollten.

Es war eine sehr anspruchsvolle Geschichte, die weitgehend auch unseren Alltag beherrscht hat, weil es einfach 240 Quadratmeter und 34 Jahre waren. Das macht man nicht an einem Wochenende.

Es war sehr schwierig unseren Eltern dabei zuzuschauen, den Ast absägen zu müssen, den sie sich 34 Jahre mit viel Liebe und Engagement aufgebaut hatten.

SWR1: War es möglicherweise einfacher, das elterliche Haus auszuräumen, wenn die Eltern noch leben?

Erdmann: Ja und Nein. Ja, weil die Entscheidungen meine Eltern gefällt haben. Und nein, es war viel schwieriger. Der Rhythmus und das Tempo meiner Eltern waren so ganz anders als das, was meine Schwester und ich an den Tag gelegt hätten, wenn wir alleine hätten entscheiden können.

Es war sehr schwierig unseren Eltern dabei zuzuschauen, wenn man das Bild benutzen will, den Ast absägen zu müssen, den sie sich 34 Jahre mit viel Liebe und Engagement aufgebaut hatten, nämlich ihr eigenes Zuhause.

SWR1: Was war das Schwierigste für Sie?

Erdmann: Auszuhalten, welchen Schmerz sie dabei empfunden haben. Zu sehen, welchen Schmerz ihnen diese Entscheidungen verursacht haben. Das war für mich jedenfalls streckenweise kaum aushaltbar.

Zuerst die unwichtigen Dinge aussortieren

SWR1: Wenn Sie zurückblicken und sich vorstellen, Sie müssten das noch mal machen — was hat Ihnen am Ende am besten geholfen?

Erdmann: Etwas, was wir in dem Moment, wo wir es gemacht haben, gar nicht bewusst getan haben. Nämlich nicht Raumweise vorzugehen, sondern nach Gruppen von Dingen. Meine Eltern haben sich zum Beispiel als Allererstes mit ihren Büchern beschäftigt. Die sind durchs ganze Haus gegangen und haben ihre Bücher aussortiert. Danach waren Sachen dran wie Blumenvasen oder solche Dinge. Sie haben es intuitiv richtig gemacht, weil sie sich immer mit einer Sache beschäftigt haben und sich nur darauf konzentrieren mussten, über diese eine Art von Dingen zu entscheiden.

Das würde ich heute auch wieder so machen. Aber ich würde vielleicht nicht unbedingt mit den Büchern anfangen — etwas, was den meisten Menschen sehr wichtig ist und wo sehr viel Herzblut dranhängt. Ich würde heute anfangen über Dinge zu entscheiden, die viel unwichtiger sind. Also irgendwelche Pappkartons, Plastiktüten oder irgendwas, wo kein Herz dranhängt. Das ist am Anfang einfacher, als gleich mit emotional besetzten Dingen anzufangen.

SWR1: Wie ist das, wenn die Eltern nicht mehr so fit sind? Was darf man als Sohn oder Tochter, möglicherweise über den Kopf der Eltern hinweg, entscheiden?

Erdmann: Das ist ein ganz heikles Thema. Wenn sie es streng nehmen, dürfen sie nicht besonders viel. Es gibt einen Paragrafen zur Gefahrenabwehr, auf denen man sich im Ernstfall berufen kann. Das heißt, wenn Ihre Eltern nicht mehr in der Lage sind, über die Dinge rund um die Wohnung zu entscheiden und zum Beispiel in ein Pflegeheim kommen, können Sie — und da empfehle ich immer, sich einmal anwaltlichen Rat zu holen — stellvertretend für ihre Eltern auch ohne Vollmachten dafür sorgen, dass zum Beispiel ein Mietvertrag oder die Wohnung selbst aufgelöst wird.

Aber wenn sie keine Vollmachten von ihren Eltern haben, bewegen Sie sich in 80 bis 90 Prozent der Fälle immer in einer Grauzone, wo sie auf das Wohlwollen von Behörden, Vermietern oder auch Ämtern angewiesen sind. Deswegen empfehle ich, soweit es irgendwann irgendwie geht, dass sich Eltern mit ihren Kindern zusammensetzen und diese Dinge vorher regeln.

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Vor der Wohnungsauflösung bereits aufräumen und ausmisten, um im Todesfall der Eltern die Angehörigen nicht zu belasten.

Die Wohnung zusammen mit den Eltern ausmisten

SWR1: Dazu gehört auch, dass man sich rechtzeitig überlegt, was man mit den vielen gesammelten Dingen so anstellt. Was kann ich tun, damit die Schränke erst gar nicht überquellen?

Erdmann: Ich bewundere jeden Angehörigen unserer Elterngeneration, der für sich entscheidet, ich mache das selbst, ich überlasse das nicht meinen Kindern, die dann radikal ausmisten. Das ist aber leider nicht die Regel. Wenn Sie können, und ihre Eltern sind noch einigermaßen ansprechbar, versuchen Sie sie dazu zu kriegen, möglichst mit ihnen zusammen anzufangen und auszumisten. Dann kann vieles gemeinsam entschieden und erledigt werden, was sie sonst als Kind hinterher alleine an der Backe haben.

SWR1: Da sind oft noch Geschwister im Spiel, die sich um die älter werdenden Eltern kümmern. Wie umschifft man da mögliche Konflikte?

Erdmann: Was helfen kann ist, wenn Sie es hinkriegen zu sagen: Wir wollen nicht über dieses Thema eine große Versöhnung herbeiführen. Wir können uns aber andererseits darauf einigen, nicht noch irgendwelche Racheakte durchführen zu wollen, wie "Mama hat Dich immer mehr geliebt. Jetzt will ich wenigstens ihren Schmuck haben". Wenn Sie sich darauf einigen und das in Ruhe miteinander regeln können, ohne sich streiten zu wollen, sondern es gütlich miteinander hinkriegen und hinterher jeder wieder seines Weges geht, dann haben Sie wirklich viel gewonnen.

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Denn das ist bei den meisten das Problem, dass sie vor diesen Dingen stehen und dann alte Verletzungen und alte Rechnungen wieder aufmachen. Dann wird sich um eine Vase, eine Brille oder eine Kaffeetasse gestritten. Damit meint man, einen Ausgleich für irgendeine Verletzung der Eltern wieder hinzukriegen. Das klappt in der Regel nicht und Geschwister gehen häufiger noch zerstrittener aus der Geschichte raus.

Das Interview führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.

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