Auf einem Kindergrab im "Garten der Sternenkinder", dem Teil des Friedhofs des Alten St.-Matthäus-Kirchhofs für gestorbene Kinder, sind ein Teddybär und ein Grablicht zu sehen.

SWR1 Sonntagmorgen

Tabuthema Fehlgeburt - eine unsichtbare Krise

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AUTOR/IN
Zülal Acar

Immer mehr Frauen bringen in Deutschland ihr Baby tot zur Welt. Etwa jede sechste Schwangerschaft endet in einer Fehlgeburt. Doch darüber zu sprechen ist noch ein großes Tabu.

Wenn Frauen ihr Kind noch während der Schwangerschaft verlieren, trauern sie oft im Verborgenen. Dieser Verlust geht für viele Betroffene mit Scham, Schuldgefühlen und anderen psychischen Belastungen einher.  

Der Tag der Sternenkinder am 15. Oktober soll unter anderem auf die Themen Fehl- und Totgeburten aufmerksam machen und Kindern gedenken, die vor oder nach der Geburt verstorben sind.  

Füße eines Neugeborenen

Zahl der Sternenkinder seit 2007 gestiegen

Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Sternenkinder im Zeitraum 2007 bis 2021 um 24 Prozent gestiegen. Der Anteil der Totgeburten ist 2022 auf 4,4 je 1.000 Geburten gestiegen. Fehlgeburten werden jedoch statistisch kaum erfasst, da sie standesamtlich nicht festgehalten werden oder weil die Frauen die Fehlgeburten nicht immer im Krankenhaus erleben. 

 

Fehlgeburten - für betroffene Mütter oft traumatisch 

Sonja Randhahn hat zwei Fehlgeburten erlebt. Als sie 2011 zum ersten Mal schwanger wird, können sie und ihr Mann ihr Glück kaum fassen. In der sechsten Schwangerschaftswoche erfahren sie aber, dass das Kind keinen Herzschlag hat. Der Traum zerplatzt. 2017 erlebt sie erneut eine Fehlgeburt, diesmal in der 14. Schwangerschaftswoche. Sie stürzt daraufhin in eine tiefe seelische Krise. "Es war traumatisch. Am Anfang war ich im Nichts. Also wirklich schwerste Depressionen mit allem Drum und Dran", erzählt die heute 40-Jährige. 

Fehlgeburten - oft gefolgt von Depressionen 

Damit ist Randhahn nicht allein: Forschende kamen 2018 zu dem Ergebnis, dass acht bis 20 Prozent der betroffenen Frauen kurz nach der Fehlgeburt depressive Symptome zeigen. Bei manchen entwickeln sich sogar Angststörungen oder Posttraumatische Belastungsstörungen. 

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Frauen trauen sich nicht über Fehlgeburten zu sprechen 

Hinzu kommt, dass sich viele Frauen nicht trauen, über das Erlebte offen zu sprechen. Oft fühlen sie sich schuldig, weil sie das Kind verloren haben. Sie suchen den Fehler bei sich und ihrem Verhalten während der Schwangerschaft. "Das führt dazu, dass viele es für sich behalten", erklärt die Psychologische Psychotherapeutin vom Heidelberger Institut für Medizinische Psychologie Magdalena Zacher im Gespräch mit SWR1.

Betroffene Frauen stoßen oft auf Unverständnis in ihrem Umfeld. "Viele versuchen zu trösten und dann kommen schnell Sätze wie 'du bist ja noch jung und du kannst noch schwanger werden, beim nächsten Mal klappt es bestimmt'. Das sind aber Sätze, die ich in dem Moment nicht hören wollte. Ich wollte dieses Kind haben und nicht irgendein anderes", erzählt Randhahn. Angehörigen empfiehlt Zacher auch die Begriffe "Sternenkinder" oder "Regenbogenkindern" zu verwenden. 

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Fehlender Mutterschutz nach Fehlgeburten  

Sonja Randhahn wünscht sich einen offeneren gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Fehlgeburten. Da sie ihre beiden Kinder vor der 24. Schwangerschaftswoche verloren hat, bietet ihr der Gesetzgeber keinen Anspruch auf gesetzlichen Mutterschutz. Das wäre dringend erforderlich, findet sie. Denn Betroffene bräuchten Zeit, um angemessen zu trauern. Stattdessen gehen viele Frauen nach Fehlgeburten arbeiten, oder hoffen auf Kulanz bei einer Krankschreibung. Für viele Frauen ist das eine zusätzliche Belastung, zumal sie sich als Mütter nicht anerkannt fühlen. "Viele Frauen fühlen sich schon ab Bekanntwerden der Schwangerschaft als Mütter", betont auch Magdalena Zacher. Kritikerinnen und Kritiker schlagen deshalb einen gestaffelten Mutterschutz vor. Eine Petition dazu wird vom Bundestag geprüft.  

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Zülal Acar