Gleise

Werden Bus und Bahn eine Alternative für alle?

Kann die Verkehrswende auch auf dem Land gelingen? So soll der ÖPNV in BW attraktiv werden

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Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild

BW will bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste im Nahverkehr. Jeder soll garantiert an sein Ziel kommen - auch für die Finanzierung gibt es neue Ideen. Wird der ÖPNV endlich eine Alternative für alle?

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat am Freitag das Landeskonzept Mobilität und Klima vorgestellt. Bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste in Bus und Bahn - die Verkehrswende weg vom Auto und hin zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) will er schaffen. Sie ist essenziell, will die Landesregierung ein weiteres ihrer hochgesteckten Ziele erreichen: die Klimaneutralität bis 2040.

Nun ist Hermann bereits seit elf Jahren im Amt und trotz dieser Kontinuität - die Verkehrswende bleibt bislang vor allem: ein Versprechen. Mit Mobilitätsgarantie und Mobilitätspass soll sich das nun ändern. Was steckt dahinter und viel wichtiger: Kann das klappen?

Mobilität auf dem Land: Kreis Freudenstadt testet ÖPNV-Taxi

Anfang September starteten Horb am Neckar (Kreis Freudenstadt) und Freudenstadt einen Testlauf. ÖPNV-Taxis fahren dorthin, wo Buslinien nicht wirtschaftlich betrieben werden können, in kleine Teilorte zum Beispiel.

Vom Ortsteil Mühlen nach Horb am Neckar (Kreis Freudenstadt) fährt ein einziger Bus am Tag. Keine Seltenheit im ländlichen Raum in Baden-Württemberg. Mit der Mobilitätsgarantie soll sich das ändern - ein Selbstversuch:

Per App oder Telefonhotline bestellt, sind die ÖPNV-Taxis werktags zwischen 5 und 24 Uhr und am Wochenende zwischen 7 und 1 Uhr buchbar, bieten auch Platz für Kinderwagen oder Rollstühle. Der Preis für eine Fahrt vom Horber Teilort Mühlen nach Horb: 4,10 Euro, also zwei Euro mehr als der reguläre Bustarif. Laut Landkreis Freudenstadt nutzten im Oktober durchschnittlich 13 Personen pro Tag das ÖPNV-Taxi. Insgesamt 25 Millionen Euro steckt das Land gerade in solche On-Demand-Angebote. Das ist ein Teil der Strategie, mit der Verkehrsminister Hermann es schaffen möchte, allen Bürgerinnen und Bürgern eine Mobilitätsgarantie zu geben. Egal, ob sie im Großraum Stuttgart, im Schwarzwald oder auf der Schwäbischen Alb leben - der ÖPNV soll eine echte Alternative zum Auto sein.

Mobilitätsgarantie: ÖPNV überall und jederzeit

Die Mobilitätsgarantie würde bedeuten, dass jeder zwischen 5 und 24 Uhr auch in ländlichen Gebieten mit öffentlichen Verkehrsmitteln garantiert von A nach B kommt. Das soll einen echten Anreiz bieten, das eigene Auto häufiger stehen zu lassen und mit Bus, Bahn oder eben ÖPNV-Taxi zu fahren. Alle Orte sollen zu den gängigen Verkehrszeiten mindestens alle 15 Minuten und im ländlichen Raum alle 30 Minuten durch den ÖPNV erreichbar sein.

Das ist auch dringend nötig. Matthias Lieb vom ökologischen Verkehrsclub (VCD), Landesverband Baden-Württemberg, sieht gerade im ländlichen Raum große Defizite. "Die Mobilitätsgarantie ist da ein ganz wichtiger Punkt", sagt Lieb. Der Unterschied zwischen Stadt und Land dürfe nicht noch größer werden.

In Städte-, Gemeinde- und Landkreistag sind die Kommunen im Land vertreten. Sie sind vor Ort Auftraggeber der Verkehrsbetriebe, die den ÖPNV anbieten. Susanne Nusser ist stellvertretende Hauptgeschäftsführerin beim Städtetag Baden-Württemberg. In Sachen Mobilitätsgarantie seien noch einige Fragen offen, sagt sie. "Es wird ja einen nicht zu unterschätzenden Millionenbetrag im Jahr kosten, dieses Mehr an Verkehrsleistungen auf die Beine zu stellen. Wie das finanziert werden soll, kann im Moment nicht abschließend geklärt werden, weil auf allen Ebenen das Geld fehlt." Zumal Bund und Länder jetzt hohe Beträge in das 49-Euro-Ticket steckten, um die durch den günstigeren Tarif fehlenden Einnahmen zu kompensieren.

49-Euro-Ticket: Bald wird ÖPNV günstiger

Mit der Einigung auf das 49-Euro-Ticket hat die Ampelkoalition im Bund gemeinsam mit den Regierungen der Länder dafür gesorgt, dass der ÖPNV bald für viele zumindest preislich deutlich attraktiver wird. Auch wenn der Starttermin noch nicht feststeht.

Doch ein günstigerer ÖPNV nützt wenig, wenn in ländlichen Regionen kaum ein Bus hält oder in Ballungsgebieten die Schienen, Züge, Busse und Straßen marode werden und ausfallen, weil das Geld für Modernisierungen fehlt. Im Zusammenhang mit dem 49-Euro-Ticket hat der Bund zwar auch die Regionalisierungsmittel erhöht - gibt also mehr Geld für Schiene und Nahverkehrszüge aus. Laut Kommunen und Verkehrsminister Hermann reicht das aber nicht.

Susanne Nusser vom BW-Städtetag sorgt sich zusätzlich, dass am Ende Geld in den Ausbau des ÖPNV im ländlichen Raum gesteckt wird, das dann in städtischen Ballungsgebieten fehlen könnte. "Die Mobilitätsgarantie im ländlichen Raum ist ein wichtiger Baustein, das stellen wir vom Städtetag nicht in Abrede. Aber gerade in den Verdichtungsräumen, wo wir den Takt bereits erfüllen, müssen wir die Kapazität im ÖPNV noch steigern, um die Ziele zu erreichen."

Man könnte es auch so sagen: Will man die Fahrgastzahlen in Baden-Württemberg bis 2030 wirklich verdoppeln, so müsste nicht nur der ÖPNV auf dem Land besser werden. Gerade in städtischen Ballungsgebieten müssten noch viel mehr Menschen motiviert werden, auf Bus und Bahn umzusteigen.

Mobilitätspass: Auch Autofahrer sollen besseren ÖPNV bezahlen

Wie also den ÖPNV verlässlich und zu attraktiven Konditionen auf die Dörfer bringen und zugleich in und um die Städte im Land weiter ausbauen? Dafür braucht es natürlich eine Menge Geld. Finanziert werden soll das Ganze nach Plänen des BW-Verkehrsministeriums so: Der Bund legt bei den Regionalisierungsmitteln etwas drauf (für Investitionen in Schiene und Nahverkehrszüge), das Land steckt mehr Geld in den ÖPNV (etwa mit Fördermitteln für ÖPNV-Taxis) und gibt den Kommunen ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie Geld einnehmen können, das sie anschließend für besseren ÖPNV ausgeben müssen. Dieses Werkzeug ist der Mobilitätspass, eine zweckgebundene Abgabe von Bürgerinnen und Bürgern für den ÖPNV.

Wie genau er einmal aussehen könnte, dafür gibt es verschiedene Vorschläge. So könnten etwa Kfz-Halter eine Abgabe zahlen und als Gegenleistung ein persönliches ÖPNV-Guthaben in gleicher Höhe erhalten. Auch denkbar: Wer mit dem Auto eine bestimmte Straße nutzt oder in eine Stadt fährt, zahlt die Abgabe. Auch ein Mobilitätspass für Einwohnerinnen und Einwohner unabhängig davon, ob sie ein Auto besitzen sowie eine Abgabe durch Arbeitgeber sind im Gespräch.

Alle Modelle haben aber dieselben Ziele: Auf der einen Seite mehr Geld für die Kommunen für den ÖPNV. Auf der anderen Seite ein Anreiz für Bürgerinnen und Bürger häufiger auf den ÖPNV umzusteigen. Vom Landkreistag heißt es auf SWR-Nachfrage, aktuell liefen "Berechnungen zur angemessenen Höhe" ebenso wie rechtliche Klärungen. "Hier gilt für uns Gründlichkeit vor Schnelligkeit."

BW-Städtetag: Mobilitätspass darf nicht das Grundangebot finanzieren

Susanne Nusser vom BW-Städtetag sieht den Mobilitätspass grundsätzlich positiv. Sie kritisiert allerdings, dass er nicht dazu dienen dürfe, das ÖPNV-Grundangebot zu finanzieren. Der ÖPNV müsse weiterhin steuer- und ticketfinanziert bleiben, "der Mobilitätspass sollte unseres Erachtens dazu dienen, vor Ort einen besonders attraktiven öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren, der über das Grundangebot hinausgeht". Beim Landkreistag geht man davon aus, dass eine Abgabe von Bürgerinnen und Bürgern nur dann akzeptiert würde, wenn sie mit einem konkreten Mehrwert beim ÖPNV verbunden sei.

Aus Fahrgastsicht, sagt der VDC-Landesvorsitzende Matthias Lieb, sei es ja so: Manche Fahrgäste seien bislang quasi gezwungen mit dem Auto zu fahren, weil sie im ÖPNV gar keine Alternativen hätten. Denen müsse man ein Angebot machen und damit man das schaffe, brauche es eine neue Art der Finanzierung. Der Mobilitätspass könnte aus Liebs Sicht durchaus eine Lösung auf das Finanzierungsproblem im ÖPNV sein.

BW-Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) im Mai 2022 zur Strategie des Landes in Sachen Verkehrswende:

Wird eines oder werden gleich mehrere Modelle für gut befunden, bräuchte es eine Gesetzesänderung auf Landesebene. Dann könnten die Kreistage über die Einführung des jeweils für sie passenden Mobilitätspass entscheiden. Die Landesregierung will das noch 2023 schaffen. Aktuell seien aber viele Fragen noch ungeklärt, erklärt Susanne Nusser vom Städtetag.

Warum ist das so kompliziert? Ein zentrales Problem: Von wem verlangt man die Abgabe und wie rechnet man sie überhaupt ab, damit sie den gewünschten Effekt hat. Ein Beispiel: In Heidelberg legt ein großer Teil der Anwohnerinnen und Anwohner seine täglichen Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV zurück. Angenommen Heidelberg würde sich beim Mobilitätspass entscheiden, von KFZ-Halterinnen und -Haltern eine Abgabe zu nehmen, obwohl vielleicht der Großteil des Verkehrs in die Stadt von außen kommt. Dann würden die Falschen zur Kasse gebeten und eine Steuerungswirkung bliebe aus.

Bei einer Straßennutzungsgebühr oder City-Maut würde sich wiederum die Frage stellen, wie sie abgerechnet werden soll. Braucht es Kameras oder Mautstationen? Auch darf niemand doppelt belastet werden. Angenommen man bezahlt im Rems-Murr-Kreis in Zukunft eine Einwohnerabgabe für den Mobilitätspass, pendelt aber nach Stuttgart mit dem Auto zur Arbeit, wo möglicherweise eine City-Maut erhoben wird. Eine solche Doppelbelastung soll es nicht geben.

Laut BW-Verkehrsministerium sind die vier Varianten des Mobilitätspasses weitgehend ausgestaltet. Auch die Berechnungen, wie viel man einnehmen könne, "werden zeitnah abgeschlossen sein". Untersucht werde weiterhin, so ein Ministeriumssprecher gegenüber dem SWR, wie die Einnahmen aus dem Mobilitätspass verrechnet und den Kundinnen und Kunden dann wieder als ÖPNV-Guthaben zur Verfügung gestellt werden können. Auch das 49-Euro-Ticket muss dabei berücksichtigt werden.

Fahrgastvertreter: Oslo macht vor, wie Verkehrswende gelingen kann

Die Probleme und Gerechtigkeitsfragen sieht auch Matthias Lieb vom ökologischen Verkehrsclub in Baden-Württemberg. Deshalb müsse man sich die Situation am jeweiligen Ort genau anschauen und sich für das passende Modell, "die gerechteste Lösung" entscheiden. Fakt sei, dass man in Baden-Württemberg heute eine Million mehr Pkw habe als noch vor zehn Jahren. Das erschwere das Einhalten der Klimaziele, "ein Weiter-so geht nicht". Doch die Verkehrswende könne klappen. Lieb sagt, man müsse nur noch Oslo schauen. In Oslo gibt es eine City-Maut, gestaffelt in mehreren Ringen und nach Treibstoffart. Auch mit diesen Mitteln wurde der ÖPNV massiv ausgebaut.

Matthias Lieb vom VCD
Der Landesvorsitzende des VCD, Matthias Lieb, kritisert, dass man beim Thema Mobilität in Baden-Württemberg zu lange auf dem "Weiter-so-Pfad" geblieben sei.

"Dass sie so ein Finanzierungsmodell haben, sieht man auch daran, dass der Umbau dort vorangekommen ist. Sie haben weniger Autoverkehr in der Stadt, die Aufenthaltsqualität hat sich gesteigert." Weniger Unfälle, weniger Lärm, mehr Lebensqualität durch einen besseren ÖPNV zählt Lieb auf. So könne die Verkehrswende allen etwas nützen.

Baden-Württemberg

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