Innenansicht mit Kelchstützen des zukünftigen Stuttgarter Tiefbahnhofs S21.

Digitaler Knoten Stuttgart

Stuttgart 21: Wird der neue Bahnknoten mit ETCS funktionieren?

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Frieder Kümmerer
Frieder Kümmerer

Im neuen Tiefbahnhof und dem gesamten Bahnknoten soll in Stuttgart ein neues digitales Zugsicherungssystem eingebaut werden. Doch die Technik hat ihre Tücken - und das kann Folgen haben.

ETCS - eine Abkürzung, auf der die ganze Hoffnung der Bahn ruht. Das sogenannte European Train Control System ist eine neue digitale Sicherungstechnik, mit der die Züge modern, sicher und schnell koordiniert und geleitet werden sollen. Damit soll ab Dezember 2025 im Raum Stuttgart alles besser werden: schnellere Verbindungen, mehr Züge, höher Zuverlässigkeit. Laut Bahn befinden sich die Bauarbeiten für das Großprojekt Stuttgart 21 auf der Zielgeraden.

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Eine Recherche der ARD-Sendung "Plusminus" zeigt jetzt aber: Die neue Technik ETCS, von der so viel abhängt, hat ihre Tücken. Und das könnte Folgen haben: Womöglich werden zahlreiche Züge den neuen Stuttgarter Tiefbahnhof nicht anfahren können - mit gravierenden Folgen für die Fahrgäste.

Züge werden immer wieder umgeleitet

Aktuell ist ETCS bereits auf der neuen ICE-Strecke Wendlingen (Kreis Esslingen) - Ulm sowie auf der Schnellzugstrecke Nürnberg - Erfurt - Halle/Leipzig im Einsatz. Direkt am Eröffnungstag im Dezember 2022 gab es zwischen Wendlingen und Ulm aber bereits Probleme mit der Technik. Unter anderem konnte sich ein Zug nicht einwählen und blieb im Tunnel stehen. Andere Züge wurden direkt umgeleitet.

Und bis heute wurden immer wieder Züge über die alte Strecke umgeleitet. Die Vermutung lag immer wieder nahe, dass es ETCS-Probleme gibt.

"Diese Darstellung weisen wir zurück", erklärt die Bahn schriftlich auf SWR-Anfrage. Wenn in Einzelfällen Züge umgeleitet würden, dann habe das mit Verspätungen der Züge zu tun, "infolge derer die Züge nicht sinnvoll zwischen Plochingen und Wendlingen verkehren können." Doch in den umgeleiteten Zügen wird in den Durchsagen immer wieder von technischen Problemen gesprochen, derentwegen die Züge umgeleitet werden. Fahrgäste haben dem SWR davon berichtet.

Wendlingen

Zug stand im Tunnel Pannen am ersten Pendler-Tag auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm

Auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm gab es Probleme mit dem ETCS-System und am Montagmorgen erhebliche Verspätungen, Züge wurden umgeleitet. Seit Mittag läuft der Verkehr reibungslos.

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Interne Bahnmitteilungen belegen: Probleme mit ETCS

Dem SWR liegen jetzt interne Meldungen der Bahn vor, die belegen: Zahlreiche dieser Umleitungen gehen auf ETCS-Probleme zurück. Auch jetzt gibt es immer noch Vorkommnisse. Ein Beispiel: Am 7. August muss ein Zug auf dem Weg nach Ulm spontan über die Geislinger Steige fahren. "ICE 267 wird heute über Geislingen nach Ulm umgeleitet. Technische Störung am Zug", heißt es in der Meldung. Im Zug gibt es eine entsprechende Durchsage an die Fahrgäste, dass das an der neuen Strecke liege. "Wenn wegen einer technischen Störung der Zug umgeleitet werden muss, dann steckt da immer ein ETCS-Problem dahinter", erklärt ein Lokführer, der anonym bleiben möchte. In anderen Bahnmitteilungen wird ETCS auch explizit als Problem genannt.

Probleme mit ETCS
Immer wieder gibt es Probleme mit ETCS - in Baden-Württemberg, aber auch in anderen Teilen Deutschlands.

Ein paar weitere Beispiele: Im April wird ein Zug umgeleitet, weil der Lokführer noch keine ETCS-Berechtigung hat - denn dafür ist eine spezielle Ausbildung inklusive Prüfung notwendig. Im Mai bleibt aus dem selben Grund ein ICE bei Wendlingen kurz vor der Einfahrt auf die Neubaustrecke stehen. Nur diesmal hatte niemand bemerkt, dass der Lokführer keine Genehmigung für das neue System hatte. Der Zug musste zurück nach Plochingen fahren und dann über die Altbaustrecke umgeleitet werden. Ebenfalls im Mai musste ein Zug bei Merklingen (Alb-Donau-Kreis) evakuiert werden. Der Zug konnte plötzlich laut Bahn nicht mehr fahren, weil der Befehl zur Weiterfahrt nicht auf den Zug übertragen werden konnte. Kein ETCS-Problem, sagt die Bahn. Der Lokführer widerspricht: "Wenn technisch der Fahrbefehl den Zug nicht erreicht, dann hängt das mit ETCS zusammen."

Merklingen

150 Menschen müssen Zug verlassen Weichenstörung: Bahn evakuiert Zug auf Neubaustrecke Wendlingen-Ulm

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Bahn hält Infrastruktur für stabil

Die Bahn hingegen erklärt: "Infrastrukturell läuft die Strecke ausgesprochen stabil: Der Fahrplan in Verbindung mit der Verfügbarkeit der Infrastruktur trägt dazu bei, dass mitgebrachte Verspätungen im Schnitt signifikant abgebaut werden können." Teilweise würden sogar Züge über die Schnellfahrstrecke umgeleitet werden, die eigentlich planmäßig über die alte langsame Strecke gefahren wären, um Verspätungen wieder abzubauen.

Dennoch: ETCS-Probleme gibt es nicht nur in Baden-Württemberg. Auch auf der Schnellzugstrecke Nürnberg - Erfurt - Halle/Leipzig kommt es immer wieder zu ähnlichen Vorfällen.

Was bedeutet das für Stuttgart 21?

Die Befürchtung ist also groß: Wenn Stuttgart 21 in Betrieb geht, könnte es immer wieder vorkommen, dass zahlreiche Züge den neuen Tiefbahnhof und den digitalen Knoten nicht anfahren können. Das bestätigt auch der Lokführer. "Als Lokführer werde ich im ICE zum Beispiel kurz vor Stuttgart merken, dass der Zug sich nicht in das neue System anmelden kann. Dann muss spontan ein neuer Fahrplan geschrieben werden. Dann werde ich um Stuttgart herum geleitet und halte stattdessen vielleicht ersatzweise in Esslingen."

Karte zu Stuttgart 21
51 Kilometer Tunnel wurden gebohrt. So soll der neue Bahnknoten mit Tiefbahnhof aussehen.

Der Eindruck, dass die Fälle bisher nur vereinzelt auftreten, sei trügerisch. Denn zwischen Wendlingen und Ulm würden derzeit stündlich gerade mal bis zu vier Züge verkehren. "Aber im neuen digitalen Knoten und den Tiefbahnhof sollen dann täglich 1.000 Züge verkehren", sagt der Lokführer. Auch die S-Bahnen werden dann mit dem neuen System fahren. "Da ist doch klar, dass diese Probleme dann vermehrt auftreten werden."

Eröffnung 2025, aber mit Abstrichen

Mehrfach musste die Bahn den Eröffnungstermin verschieben. Jetzt sind immerhin 51 Kilometer Bahn-Tunnel unterhalb der Landeshauptstadt gegraben, sodass Stuttgart 21 im Dezember 2025 in Betrieb gehen könne, sagt die Bahn. Doch schon jetzt ist klar: Teile des Projektes - wie der neue Flughafenbahnhof - sind dann noch nicht fertig und werden lange Zeit eine Baustelle bleiben. Und die Magistrale von Zürich nach Stuttgart wird für viele Jahre in Stuttgart-Vaihingen enden. Wer dann von dort aus in den neuen Tiefbahnhof fahren will, muss die Stadt- oder die S-Bahn nutzen. Würden in dieser Zeit noch zusätzlich Probleme durch ETCS entstehen, würde das weitere Einschränkungen für die Fahrgäste bedeuten.

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