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Stuttgarter Unterkunft bietet ukrainischen Familien Zuflucht

Zwei Jahre Krieg gegen die Ukraine: "Wir versuchen uns gegenseitig Halt zu geben"

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AUTOR/IN
Susanne Babila
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Jana Prochazka

Vor zwei Jahren begann der Angriff auf die Ukraine. Nataliia Shkola hofft immer noch auf die Rückkehr in die Heimat. Ihrem Mann ist klar: Die Perspektive heißt Deutschland.

Seit zwei Jahren tobt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und fast 200.000 Ukrainerinnen und Ukrainer sind inzwischen nach Baden-Württemberg geflohen. Im "VeronikaBerg", einer Stuttgarter Einrichtung der Hilfsorganisation Kinderberg International, finden ukrainische Familien Zuflucht, die schwerkranke Angehörige oder Kinder mit einer Behinderung haben.

So auch die Familie von Nataliia Shkola. Nach zwei Jahren Krieg haben alle Angehörigen ihre Heimatstadt Cherson verlassen, erzählt die 46-Jährige. Die Lage sei sehr schlimm: "Jeden Tag wird unsere Stadt bombardiert", erzählt sie. "Auch in unserer Straße gibt es immer wieder russische Bombenangriffe."

Die Ukrainerinnen und Ukrainer brauchen dringend Hilfe. Viele sind traumatisiert.

Ukrainischer Jugendlicher träumte von den Paralympics

Serhii, ihr siebzehnjähriger Sohn, ist spastisch gelähmt und kann sich nur schleppend fortbewegen. Er besucht die Margarete-Steiff-Schule, eine Stuttgarter Einrichtung für Kinder, die aufgrund ihrer Behinderungen nicht oder noch nicht an einer Grund- oder weiterführenden Schule aufgenommen werden können. Doch Serhii findet kaum Kontakte. Er vermisst seine Freunde in der Ukraine und ganz besonders das Team aus seinem Schwimmverein. Sein Traum, irgendwann bei den Paralympics antreten zu können, scheint in weite Ferne gerückt zu sein.

Familie Skholah ist seit zehn Monaten vereint in der Stuttgarter Einrichtung "VeronikaBerg"
Familie Skholah ist seit zehn Monaten wieder vereint in der Stuttgarter Einrichtung "VeronikaBerg".

Familienvater kam vor zehn Monaten nach Deutschland

Grund zur Freude hatte er aber vor zehn Monaten, als sein Vater Serhiy aus der Ukraine in Deutschland ankam. Nachdem er vor einem knappen Jahr auch seine Arbeit als Bankfilialleiter verlor, wollte Serhiy in die ukrainische Armee eintreten, doch seine Ehefrau Nataliia war wegen ihres behinderten Sohnes dagegen. "Ich kann das verstehen, denn sie war alleine", sagt der 46-Jährige. "Wir haben in unserer Familie entschieden, dass zunächst die jüngeren Männer, die weder Frau noch Kinder haben, in die Armee gehen. Wenn die Ukraine mich braucht, werde ich zurückgehen."

In der Heimat wurde der Hof der Familie durch den Bruch des Kachowka Staudamms infolge einer Explosion zerstört. "Es ist schrecklich, weil wir unser ganzes Leben viel gearbeitet haben, um die Zukunft für uns und unsere Familie zu sichern", sagt der Ukrainer. "Von allem, was wir hatten, bleibt uns jetzt nur ein Auto, mit dem Nataliia mit unserer Familie nach Deutschland geflüchtet ist."

Wenn die Ukraine mich braucht, werde ich zurückgehen.

Nataliia Shkola flüchtete nach Ausbruch des Krieges vor zwei Jahren mit ihren zwei Söhnen Serhii und Danylo und ihrer schwerkranken Mutter nach Deutschland. Sie fand zwar Hilfe im "VeronikaBerg", fühlte sich aber mit den Sorgen um den schwerbehinderten Serhii und die krebskranke Mutter sehr allein. Seit ihr Ehemann Serhiy in Stuttgart ist, sind alle erleichtert. "Ich bin viel ruhiger geworden, weil ich mir keine Sorgen mehr um meinen Ehemann machen muss", sagt die Ukrainerin.

Familien im "VeronikaBerg" unterstützten sich gegenseitig

Zurzeit sind drei ukrainische Familien im "VeronikaBerg" untergebracht. Sie sind zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen, die Kinder haben sich angefreundet. Unterstützt werden die Familien von Leiter Oleksandr Ivanytsky, der wie alle Bewohnerinnen und Bewohner unter großem Heimweh leidet. "Wir versuchen uns gegenseitig Halt zu geben", erklärt Ivanytsky. "Dieses Warten ist auf die Dauer viel zu schwer. Keiner weiß, wann der Krieg endet, und das zermürbt uns alle."

Der studierte Psychologe kümmert sich um Behördengänge, Schultermine oder Arztbesuche. Seit einiger Zeit macht Ivanytsky eine Fortbildung zum Traumatherapeuten. "Die Ukrainerinnen und Ukrainer brauchen dringend Hilfe. Viele sind traumatisiert", sagt Ivanytsky. Denn die Kriegserinnerungen, die oft traurigen Nachrichten von Angehörigen aus der Heimat und das Leben in der Fremde mache viele krank.

Keiner weiß, wann der Krieg endet, und das zermürbt uns alle.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer stoßen in Deutschland immer wieder auf Herausforderungen. "Die deutsche Sprache ist das größte Problem für viele Ukrainer und Ukrainerinnen", sagt Ivanytsky. Viele hätten eine gute Ausbildung, könnten aber aufgrund der Sprachbarriere ihren Beruf nicht ausüben.

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Serhiy, der Bankkaufmann gelernt hat, arbeitet in Stuttgart als Fahrer für einen Pflegedienst und lernt Deutsch. Mit 46 Jahren sei ein Neuanfang schwer, aber in der Ukraine sehe er keine Perspektiven mehr - vor allem nicht für Serhii. "Wir werden älter und müssen hierbleiben, um unserem Sohn eine berufliche Zukunft zu ermöglichen", sagt der Ukrainer. "Er ist in einer inklusiven Schule, er macht dort Praktika und wir sehen schon gute Ergebnisse in seiner Entwicklung. Wir sind sehr dankbar, dass ihm in Deutschland geholfen wird."

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