Das Erlernen einer zweiten Sprache Zweitsprache führt zu Veränderungen im Gehirn

Hirnforschung

Erlernen einer zweiten Sprache verändert Struktur des Gehirns

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Alfred Anwander, Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig
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Ralf Caspary
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Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei Redakteur bei SWR Kultur DAS Wissen.

Eine zweite Sprache zu lernen, ist gut fürs Gehirn. Wie genau sich das Gehirn verändert, wenn man als Erwachsener eine neue Sprache lernt, hat jetzt eine Studie untersucht.

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Was genau passiert im menschlichen Gehirn, wenn wir als Erwachsene sehr intensiv eine zweite neue Sprache lernen? Werden dabei bestimmte neuronale Areale größer, bilden sich dort mehr Verbindungen, verändert sich im Gehirn insgesamt die Verbindungsarchitektur? Arbeiten also etwa linke und rechte Gehirnhälfte besser zusammen? Diese Fragen haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig interessiert. Sie haben eine Studie gemacht, bei der erwachsene syrische Geflüchtete Deutsch gelernt haben.

Hierfür wurde ein umfangreiches Intensivprogramm zum Erlernen der deutschen Sprache für syrische Geflüchtete organisiert. Den Lernfortschritt im Gehirn der Teilnehmenden haben die Forschenden mithilfe hochauflösender Magnetresonanztomographie (MRT) analysiert.

Das Erlernen einer zweiten Sprache verändert das Gehirn. Das konnte jetzt bei erwachsenen Syrern, die einen intensiven Deutschkurs besuchten, nachgewiesen werden.
Das Erlernen einer Zweitsprache führt zu Veränderungen im Gehirn. Das konnte jetzt bei erwachsenen Syrern, die einen intensiven Deutschkurs besuchten, nachgewiesen werden.

Auch bei Erwachsenen verändert das Erlernen einer neuen Sprache die Strukturen im Gehirn

Die Forschenden konnten erstmals zeigen, dass sich beim Erlernen einer neuen Sprache im Gehirn die Verbindungen zwischen den Regionen der Sprachverarbeitung dynamisch verändern. Erst dadurch wird es möglich, in der neuen Sprache zu kommunizieren und zu denken.

Wir konnten zeigen, dass sich auch beim erwachsenen Menschen die Verbindungen im Gehirn verändern, wenn wir eine neue Sprache lernen. Wir wissen das ja beim beim Kind, dass man, wenn man was Neues lernt, das sich dann sozusagen im Gehirn widerspiegelt. Beim Erwachsenen war das bisher noch nicht klar. Und dafür haben wir MRT-Messungen gemacht, also Magnetresonanztomographie.

Beim Erlernen der Muttersprache wird vor allem die linke Hirnhälfte in Anspruch genommen. (Mutter liest Kind etwas vor.)
Beim Erlernen der Muttersprache wird vor allem die linke Hirnhälfte in Anspruch genommen.

Über einen Zeitraum von sechs Monaten verglich das Forschungsteam unter der Leitung von Alfred Anwander und Angela Friederici genau die Gehirnscans von 59 arabischen Muttersprachlern, die intensiv Deutsch lernten. Entschlüsselt wurden die Veränderungen in der Konnektivität zwischen den Gehirnarealen durch hochauflösende MRT-Bilder, die zu Beginn, in der Mitte und am Ende der Lernphase aufgenommen wurden.

Mit einem speziellen Verfahren, der so genannten Traktographie, gelang es, die neuronalen Bahnen am Computer sichtbar zu machen. Die Bilder zeigen eine Verstärkung der Nervenverbindungen innerhalb des Sprachnetzwerks in der linken Gehirnhälfte sowie die Beteiligung zusätzlicher Regionen in der rechten Hemisphäre während des Zweitspracherwerbs.

Für das Erlernen einer Zweitsprache ist auch die rechte Hirnhälfte nötig

Mit dem Lernfortschritt, sagt Xuehu Wei, Erstautorin der Studie, nahm die Konnektivität zwischen den Spracharealen in beiden Hemisphären zu.

Die Studie zeigte allerdings auch, dass sich beim Erlernen einer Zweitsprache die Konnektivität zwischen den beiden Gehirnhälften, die über den Gehirnbalken miteinander verbunden sind, verringert.

Beim Erlernen einer Sprache spielt das richtige Zusammenspiel beider Hälften des Gehirns eine wichtige Rolle.
Beim Erlernen von Sprachen spielt das richtige Zusammenspiel beider Gehirnhälften eine wichtige Rolle.

Beim Erlernen einer Erstsprache, erläutert Anwander, findet die Sprachverarbeitung hauptsächlich in der linken Hemisphäre des Gehirns statt.

Um diese Sprache flüssig sprechen zu können, effizient zu verarbeiten, unterdrückt die linke Hemisphäre immer die auf gewisse Art und Weise die Reaktivität auf der rechten Seite. Und wenn ich jetzt eine neue Sprache lernen will, dann brauche ich auch die rechte Hemisphäre, die rechte Gehirnhälfte dazu.

Weniger Verbindungen zwischen rechter und linke Hirnhälfte erleichtern das Erlernen einer Zweitsprache

Die rechte Hemisphäre kann beim Erlernen einer Zweitsprache allerdings nur dann gut arbeiten, wenn die linke Hemisphäre die rechte Hemisphäre weniger unterdrückt und sozusagen selbst ihren Anteil an der Sprachverarbeitung machen lässt. Das ist nur möglich, wenn die Verbindungsstärke zwischen den zwei Hirnhälften reduziert wird. Die sprachdominante linke Hemisphäre übt dann weniger Kontrolle über die rechte Hemisphäre aus. So werden Ressourcen in der rechten Gehirnhälfte frei, um die neue Sprache zu integrieren.

Es ist immer ein Geben und Nehmen zwischen den Hirnhälften. Einerseits unterstützen die sich gegenseitig, andererseits konkurrieren die auch miteinander. Und wenn dann eben beide Seiten was machen sollen, kann es zu Störungen kommen.

So wurde laut Anwander zum Beispiel beim Stottern gezeigt: Wenn die rechte Hemisphäre nicht stark genug unterdrückt wird und da immer mitreden will, kommt es zum Stottern.

Die vorliegende Studie veranschauliche letztlich, sagt Anwander, "wie sich das erwachsene Gehirn an neue kognitive Anforderungen anpasst, indem es die strukturelle Konnektivität innerhalb und zwischen den Hemisphären moduliert.“

Wenn man in gewisser Weise andere Welten wahrnehmen will, brauche man auch andere Hirnverbindungen, erläutert Anwander im Interview mit dem SWR. Früher konnte bereits gezeigt werden, dass Menschen, die in unterschiedlichen Sprachgebieten aufgewachsen sind, auch unterschiedliche Gehirn-Netzwerke haben.

Mehr als nur eine Ansammlung von Buchstaben:  Das Erlernen einer Sprache trainiert unser Gehirn. Es werden neue Hirnstrukturen aufgebaut.
Mehr als nur eine Ansammlung von Buchstaben: Das Erlernen einer Sprache trainiert unser Gehirn. Es werden neue Hirnstrukturen aufgebaut.

Unser Gehirn bleibt auch im Erwachsenalter formbar

Das Experiment zeigt noch einmal, wie flexibel und formbar unser Gehirn ist. Das betrifft nicht nur das Erlernern von Sprachen, sondern auch das Lernen motorischer Fähigkeiten, wie beispielsweise das Jonglieren von Bällen oder das Halten vom Gleichgewicht. Wer das trainiert, verändert eben auch das Gehirn. Das ist zum Beispiel entscheidend für das Verständnis von Rehabilitationstechniken.

Dass dies auch bei kognitiven Fähigkeiten wie beim Erlernen einer Zweitsprache der Fall ist, wurde bisher so noch nicht gezeigt. Die Forschenden konnten nachweisen, dass sich auch etwas rein Gedankliches im Gehirn widerspiegelt, und dass auch bei Erwachsenen noch Veränderungen im Gehirn möglich sind. Es lohnt sich also auch noch im Erwachsenenalter etwas Neues wie eine neue Fremdsprache zu lernen.

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