Film

Wim Wenders feiert in „Perfect Days“ die Liebe zum Putzen

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AUTOR/IN
Rüdiger Suchsland

Wim Wenders hat seinen neuen Film „Perfect Days“ in Japan gedreht, nicht nur, weil er das Land liebt, sondern auch, weil er in Deutschland kein Geld von der Filmförderung bekam. So wurde „Perfect Days", ein Film über einen Toilettenreiniger in Tokio, zum japanischen Oscarkandidat. Ein langsamer Film, der zwischen meditativ und langweilig schwankt.

Populär-Philosophie für den Alltag

Ein Kloputzer. Sein Leben steht im Zentrum dieses Films, der eine populärphilosophisch grundierte Lektion in Lebenshilfe ist. Der Film zeigt über weite Strecken den Alltag von Hirayama, gespielt von dem japanischen Star Koji Yakusho, der für die Reinigung von öffentlichen Toiletten im zentralen Tokioter Stadtteil Shibuya zuständig ist.

In seinem Van fährt er von Latrine zu Latrine, manchmal in Begleitung seines Assistenten. Er hört die Musik, die er sein ganzes Leben schon mag, nämlich Lou Reed, The Kinks, Patti Smith und andere, die auch Regisseur Wim Wenders schon sein ganzes Leben mag. In den Pausen macht er Photos von Bäumen. Jeden Tag wiederholt sich das.

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Der Schauspieler Koji Yakusho wurde Wim Wenders vorgeschlagen, der sofort begeistert war: „DER Koji Yakusho, den ich mehrfach in „Shall We Dance“ oder in „Babel“ und bewundert hatte? Das schien zu schön, um wahr zu sein.“ Bild in Detailansicht öffnen
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Hirayama ( Koji Yakusho) reinigt öffentliche Toiletten in Tokio. Er scheint mit seinem einfachen, zurückgezogenen Leben vollauf zufrieden zu sein. Bild in Detailansicht öffnen
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Hirayama widmet sich abseits seines äußerst strukturierten Alltags seiner Leidenschaft für Musik, die er von Audiokassetten hört, und für Literatur, die er allabendlich in gebrauchten Taschenbüchern liest. Bild in Detailansicht öffnen
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Durch eine Reihe unerwarteter Begegnungen kommt nach und nach eine Vergangenheit ans Licht, die er längst hinter sich gelassen hat. Bild in Detailansicht öffnen
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Die Figur Takuma war einmal privilegiert und wohlhabend, war dann aber von diesem Leben immer weniger erfüllt und stürzte schließlich voll ab. Bild in Detailansicht öffnen
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Wim Wenders über seine Hauptfigur: „Hirayamas Alltag dient unserer Erzählung als Rückgrat. Das Schöne an diesem monotonen Rhythmus des ‚ewig Gleichen‘ ist, dass man plötzlich beginnt, auf all die kleinen Dinge zu achten, die eben nicht gleichbleiben, sondern sich jedes Mal verändern.“ Bild in Detailansicht öffnen
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„Wenn man wie Hirayama tatsächlich lernt, vollkommen im Hier und Jetzt zu leben, gibt es keine Routine mehr. An ihre Stelle tritt die kontinuierliche Aufeinanderfolge einmaliger Ereignisse, einmaliger Begegnungen und einmaliger Momente. Hirayama nimmt uns mit in dieses Reich zufriedener Gegenwart.“ Bild in Detailansicht öffnen

Meditativer Film oder wohltemperierte Langweile

Es gibt so gut wie keine Handlung in diesem Film, den man, je nach Perspektive und persönlicher Geduldsverfassung, als meditativ oder auch einfach als wohltemperierte Langweile empfinden kann. Es gibt keine erzählerischen Wendungen, keine diskursiven Dialoge oder psychologisierende Erklärungen. In dieser Hinsicht ist „Perfect Days" raffiniert und anspruchsvoll.

Lediglich einige Details seiner kleinen, mit Büchern, Musikkassetten und Photokisten vollgestopften Wohnung und die Begegnungen mit seiner Nichte und seiner Schwester geben einen Einblick in die Vergangenheit von Hirayama. Er scheint aus einer wohlhabenden Gesellschaftsschicht zu stammen und hat irgendwann beschlossen, alles hinter sich zu lassen.

Sisyphos als Kloputzer

Was folgt ist das Loblied auf einen Einzelgänger und modernen Eremiten, den wir uns aber als glücklichen Menschen vorstellen müsse. Nur Regisseur Wim Wenders selbst kann wissen, ob das alles auch etwas mit ihm zu tun hat.

Die grundsätzliche Frage, die dieser Film stellt, jenseits seiner wohligen dahinplätschernden Gemütlichkeit, die von schöner, nie störender Musik und ebensolchen schön photographierten Wellness-Bildern untermalt wird, ist die, was die Freiheit in den Wohlfahrtsstaaten des Westens eigentlich mit den Menschen macht?

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Wim Wenders über seine Hauptfigur: „Hirayamas Alltag dient unserer Erzählung als Rückgrat. Das Schöne an diesem monotonen Rhythmus des ‚ewig Gleichen‘ ist, dass man plötzlich beginnt, auf all die kleinen Dinge zu achten, die eben nicht gleichbleiben, sondern sich jedes Mal verändern.“

Der „Himmel über Berlin" ist gegen den von Tokio getauscht

Natürlich hat jeder Mensch das Recht ohne Ehrgeiz und weitgehend ohne Sozialkontakte vor sich hin zu leben, den Rest der Menschheit links und rechts liegen zu lassen. Aber ist das auch der Sinn des Lebens? Diese Frage stellt Wenders zwar nicht direkt, aber sie steht im Raum, und stellt die Hauptfigur infrage, trotz der offenkundig Sympathie des Films für sie.

Dies ist eine kleine, aber feine Arbeit. Man kann, wenn man will in ihr auch minimale Verweise auf Wenders' Meisterwerke entdecken: Auf "Alice in den Städten" und entfernt auf "Paris, Texas".

Nicht der beste Wenders Film seit Jahren

Ein Kloputzer. Ein banales Leben. Vielleicht so, wie das Leben, das wir alle führen. Aber will man es deshalb auch so sehen? In der sehr ausgestellten und schöngefärbten Banalität. Das ist die Frage und liegt wohl sehr im Auge der Betrachter.

Aber die Fans und Generationsgenossen von Wim Wenders wollen Wenders-Filme sehen. Und alle wollen Lou Reed hören. Das ist auch gut so, und genügt für einen Kinoerfolg. Der „beste Film von Wenders seit Jahrzehnten", wie manche nach der Premiere jubelten, ist „Perfect Days" deshalb allerdings noch lange nicht.

Trailer „Perfect Days“, ab 21.12. im Kino

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Rüdiger Suchsland